Immanuel Kant
Allgemeine
Naturgeschichte
und
Theorie des Himmels

Erster Theil
von der
Systematischen Verfassung unter den Fixsternen

...

8 Dem Herrn Wright von Durham einen Engländer, war es vorbehalten, einen glücklichen Schritt zu einer Bemerkung zu thun, welche von ihm selbst zu seiner gar zu tüchtigen Absicht gebraucht zu seyn scheint, und deren nützliche Anwendung er nicht genugsam beobachtet hat. Er betrachtete die Fixsterne nicht als ein ungeordnetes und ohne Absiche zerstreutes Gewimmel, sondern er fand eine systematische Verfassung im Ganzen, und eine allgemeine Beziehung dieser Gestirne gegen einen Hauptplan der Räume, die sie einnehmen.

...

Letzte Abschnitte

15 Ich komme zu demjenigen Theile des vorgetragenen Lehrbegriffs, der ihn durch die erhabene Vorstellung, welche er von dem Plane der Schöpfung darstellt, am meisten reizend macht. Die Reihe der Gedanken, die mich darauf geleitet haben, ist kurz und ungekünstelt; sie besteht in folgendem. Wenn ein System von Fixsternen, welche in ihren Lagen sich auf eine gemeinschaftliche Fläche beziehen, so wie wir die Milchstraße entworfen haben, so weit von uns entfernt ist, daß alle Kenntlichkeit der einzelnen Sterne, daraus es besteht, sogar dem Sehrohre nicht mehr empfindlich ist; wenn seine Entfernung zu der Entfernung der Sterne der Milchstraße eben das Verhältniß, als diese zum Abstande der Sonne von uns hat; kurz, wenn eine solche Welt von Fixsternen in einem so unermeßlichen Abstande von dem Auge des Beobachters, das sich außerhalb derselben befindet, angeschaut wird: so wird dieselbe unter einem kleinen Winkel als ein mit schwachem Lichte erleuchtetes Räumchen erscheinen, dessen Figur cirkelrund seyn wird, wenn seine Fläche sich dem Auge gerade zu darbietet, und elliptisch, wenn es von der Seite gesehen wird. Die Schwäche des Lichts, die Figure und die kennbare Größe des Durchmessers werden ein solches Phänomenon, wenn es vorhanden ist, von allen Sternen, die einzeln gesehen werden, gar deutlich unterscheiden.

Man darf sich unter den Beobachtungen der Sternkundigen nicht lange nach dieser Erscheinung umsehen. Sie ist von unterschiedlichen Beobachtern deutlich wahrgenommen worden. Man hat sich über ihre Seltsamkeit verwundert; man hat gemuthmaßt und bisweilen wunderlichen Einbildungen, bisweilen scheinbaren 16 Begriffen, die aber doch eben so ungegründet, als die erstern waren, Platz gegeben. Die neblichten Sterne sind es, welche wir meinen, a) oder vielmehr eine Gattung derselben, die der Herr Von Maupertuis so beschreibt *): Daß es kleine, etwas mehr als das Finstere des leeren Himmels erleuchtete Plätzchen seyn, die alle darin überein kommen, daß sie mehr oder weniger offene Ellipsen vorstellen, aber deren Licht weit schwächer ist, als irgend ein anderes, das man am Himmel gewahr wird. Der Verfasser der Astrotheologie bildete sich ein, daß es Oeffnungen im Firmamente wären, durch welche er den Feuerhimmel zu sehen glaubte. Ein Philosoph von erleuchtetern Einsichten, der schon angeführte Herr von Maupertuis, hält sie in Betrachtung ihrer Figure und kennbaren Durchmessers für erstaunlich große Himmelskörper, die durch ihre von dem Drehungsschwunge verursachte große Abplattung, von der Seite gesehen, elliptische Gestalten darstellen.

a) Wovon schon einziges in der Vorrede, Seite 10 und 11 vorgekommen ist.

*) Abhandlung von der Figur der Sterne.

Man wird leicht überführt, daß diese letzere Erklärung gleichfalls nicht statt finden könne. Weil diese Art von neblichten Sternen außer Zweifel zum wenigsten eben so weit als die übrigen Fixsterne von uns enfernt seyn muß: so wäre nicht allein ihre Größe erstaunlich, nach welcher sie auch die größten Sterne viele tausendmal übertreffen müßten, sondern das wäre am allerseltsamsten, daß sie bey dieser außerordentlichen Größe, da es selbstleuchtende Körper und Sonnen sind, das allerstumpfste und schwächste Licht an sich zeigen sollten.

Weit natürlicher und begreiflicher ist es, daß es nicht einzelne so große Sterne, sondern Systemata von vielen seien, deren Entfernung sie in einem so engen Raume darstellt, daß das Licht, welches von jedem derselben einzeln unmerklich ist, bey ihrer unermeßlichen Menge in einen einförmigen blassen Schimmer, ausschlägt. Die Analogie mit dem Sternensystem, darin wir uns befinden, ihre Gestalt, welche gerade so ist, als sie es nach unserem 17 Lehrbegriffe seyn muß, die Schwäche des Lichts, die eine vorausgesetzte unendliche Entfernung erfordert: alles stimmt vollkommen überein, diese elliptische Figuren für eben dergleichen Weltordnungen und, so zu reden, Milchstraßen zu halten, deren Verfassung wir eben entwickelt haben; und wenn Muthmaßungen, in denen Analogie und Beobachtung vollkommen übereinstimmen, einander zu unterstützen, eben dieselbe Würdigkeit haben als förmliche Beweise, so wird man die Gewißheit dieser Systemen für ausgemacht halten müssen.

Nunmehr hat die Ausmerksamkeit der Beobachter des Himmels Bewegungsgründe genug, sich mit diesem Gegenstande zu beschäftigen. Die Fixsterne, die wir noch einzeln unterscheiden, beziehen sich also mit der unzählbaren Menge derer, die durch ihr vereinigtes Licht den Schimmer der Milchstraße verursachen, auf eine gemeinschaftliche Fläche, und machen dadurch ein zusammengeordnetes Ganze, welches eine Welt von Welten ist. In unermeßlichen Entfernungen giebt es mehr solcher Sternensysteme (die neblichen Sterne, Nebelflecke) und die Schöpfung ist in dem ganzen unendlichen Umfange ihrer Größe allenthalben systematisch und auf einander beziehend.

Man könnte noch muthmaßen, daß eben diese höhere Weltordnungen nicht ohne Beziehung gegen einander seyn, und durch dieses gegenseitige Verhältniß wiederum ein noch unermeßlicheres System ausmachen möchten. Und wirklich muß eben die Anziehungskraft, aus der wir die Bewegung der Sonnen gefolgert haben, auch bey diesen höhern Weltordnungen eine Bewegung theils nöthig gemacht, theils hervorgebracht haben. In der That sieht man, daß die elliptischen Figuren dieser Arten neblicher Sterne, welche der Herr von Maupertuis anführt, eine sehr nahe Beziehung auf die Fläche der Milchstraße haben. Es sieht hier ein weites Feld zu Entdeckungen offen, wozu die Beobachtung den Schlüssel geben muß. 1) Die eigentlich so genannten nebliche Sterne, und die, über welche man streitig ist, sie so zu benennen, müßten nach Anleitung dieses Lehrbegriffe untersucht und geprüft werden. Wenn man die Theile der Natur nach Absichten und einem entdeckten Entwürfe betrachtet, so eröffnen sich gewisse Eigenschaften, die sonst übersehen werden und verborgen bleiben, wenn sich die Beobachtung ohne Einleitung auf alle Gegenstände zerstreuet.

1) Lambert scheint ungewiß gewesen zu seyn, wofür er die Nebelsterne halten sollte. An einigen Orten seiner Briefe scheint er sie für entfernte Milchstraßen zu halten; an andern nur für ein reflectirtes Licht eines von benachbarten Sonnen erleuchteten dunkeln Centralkörpers ; an andern vermuthet er das Daseyn niebrerer Milchstraßen, ohne dabei an die Nebelsterne zu denken. Man kann also diese Vorstellung nicht einen von Lambert gewagten Gedanken nennen, wie in Errlebens Naturlehre 1772. gesagt wird; sondern auch diese gehört Hrn. Kanten in Ansehung der Priorität zu. S. — In den drei Abhändlungen des Hrn. Herschels, die 1. J. 1771. Hr. Sommer deutsch herausgab, finden sich eine Menge Beobachtungen und Entdeckungen von mancherlei Arten von Nebelsternen, Nebelflechen, Schimmergestalten am Firmamente, wodurch Hrn. Kants Ideen bestatigt und weiter ausgeführt werden. Man sehe davon auch Bodens Kenntniß des gest. Himm. 1792. Seite 543. und aürom. Jahrbücher für 1791 und 1794. H.